SPRACHERWERB – DIE FASZINIERENDE CHOREOGRAPHIE DES BABYHIRNS
31.01.2024 | von Evarella
ENTSCHLÜSSELUNG DER LAUTORDNUNG IM ENTWICKLUNGSREIGEN DES BABYHIRNS
Die faszinierende Reise des Spracherwerbs bei Babys wirft neugierige Fragen auf: Wie schafft es das noch langsame und sich schrittweise entwickelnde Babygehirn trotz der schnellen Natur der Sprache bereits in den ersten Lebensmonaten, die Worte zu erfassen? Die Hirnforscherin Katharina Menn und ihr Team am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig haben sich mit dieser Frage beschäftigt und aufschlussreiche Einblicke gewonnen.
DIE LANGSAMKEIT DES BABYHIRNS UND DIE HERAUSFORDERUNG DES SPRACHERWERBS
Katharina Menn erforscht seit Jahren die Entwicklungsprozesse des Gehirns, insbesondere den Umgang mit sprachlichen Reizen. Im Fokus stand die Erkenntnis, dass Neugeborene akustische Reize, die 150 bis 200 Millisekunden dauern, verarbeiten können, während einzelne Laute in der Sprache nur etwa 50 Millisekunden dauern. Die Frage lautete: Wie erlernen Babys trotz dieser Diskrepanz in der Verarbeitungsgeschwindigkeit in den ersten Lebensmonaten scheinbar mühelos und schnell die Sprache?
DIE MUSIKALISCHE STRUKTUR VON WÖRTERN
Die Forscher stellten fest, dass Wörter oft mehrere kurze Laute hintereinander enthalten, die eine gemeinsame Eigenschaft teilen, wie die Stimmhaftigkeit. Katharina Menn erklärt: "So besteht das Wort 'Band' aus stimmhaften Lauten. Spricht man sie aus, gerät die Stimmritze im Kehlkopf in Schwingung." Diese längeren stimmhaften Verbindungen wurden als Schlüssel zum Verständnis des frühen Spracherwerbs betrachtet.
EXPERIMENTELLE ERKENNTNISSE MITTELS ELEKTROENZEPHALOGRAMM (EEG)
Um die Vermutung zu überprüfen, spielten die Forscher den Babys die Geschichte von Lars dem Eisbären auf Deutsch vor. Dabei wurden mittels EEG die Hirnströme aufgezeichnet. Die Analyse zeigte, dass die Nervenzellen besonders aktiv waren und intensiv arbeiteten, wenn die längeren stimmhaften Lautverbindungen vorkamen. Die Babys schienen diese deutlich besser zu erkennen als einzelne kurze Laute.
SPRACHERWERB ALS CHOREOGRAPHISCHER TANZ DES GEHIRNS
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die Langsamkeit des Babygehirns entscheidend dafür ist, in welcher Reihenfolge Säuglinge die Laute ihrer Muttersprache erwerben. Die Forscher vermuten sogar, dass diese Langsamkeit ein Vorteil sein könnte. In einer Welt voller neuer Eindrücke und Reize könnte die Fokussierung auf längere, strukturierte Lautverbindungen den Babys helfen, Ordnung und Struktur in ihrer Umgebung zu finden.
UNTERSCHEIDUNG ZWISCHEN MUTTERSPRACHE UND FREMSPRACHE
Als Kontrollmechanismus hörten die Babys die Geschichte auch auf Französisch. Das EEG zeigte, dass ihre Gehirne die Signale verarbeiteten. Interessanterweise erkannten die Babys die fremden Laute nicht wieder, was darauf hindeutet, dass sie bereits in diesem frühen Stadium zwischen Muttersprache und Fremdsprache unterschieden.
ZUKUNFSTFORSCHUNG: WIE KÖNNEN ELTERN DEN SPRACHERWERB UNTERSTÜTZEN?
Die Anpassungsfähigkeit von Erwachsenen in Bezug auf Sprechtempo und Betonung unterstützt den Spracherwerb von Kindern intuitiv. Die nächste Frage, der sich Katharina Menn und ihr Team widmen, betrifft die Veränderungen in der Eltern-Kind-Interaktion im Laufe der ersten beiden Lebensjahre. Insbesondere im Hinblick auf Lautmerkmale steht die Forschung noch am Anfang.
In einer Laborsituation mit Eltern und ihren Kindern werden aktuell Daten ausgewertet. Die Kommunikation wird mittels Mikrofon aufgezeichnet, und die Forscher analysieren, wie sich die Interaktion zwischen Eltern und Kindern im Kontext der Lautmerkmale entwickelt. Dieser vielversprechende Forschungszweig könnte bald weitere Erkenntnisse darüber liefern, wie Eltern ihre Babys beim Spracherwerb optimal unterstützen können.
Quelle: Science.org