Übersetzung von Gerichtsdokumenten in der Schweiz – Gewährleistung der Fairness und Transparenz

Ein ausländischer Angeklagter sitzt vor nicht übersetzten Gerichtsdokumenten in einem Schweizer Gerichtssaal
Nicht übersetzte Dokumente stellen für ausländische Angeklagte eine unüberwindbare Hürde in Schweizer Gerichtssälen dar.

17.03.2024 | von Evarella

In den letzten Jahren hat die Schweiz dank ihrer universellen Gerichtsbarkeit vermehrt schwere Verbrechen vor Gericht gebracht, die in anderen Ländern begangen wurden. Doch mit der Vielfalt der involvierten Parteien entsteht ein dringender Bedarf an Dolmetschern im Gerichtssaal. Die Gerichtskorrespondentin Sibilla Bondolfi beleuchtet die Herausforderungen und Lösungen des Dolmetschens und Übersetzens im Schweizer Rechtssystem.

Dolmetschen im Gerichtssaal: Eine komplexe Aufgabe

Dolmetschen im Gerichtssaal stellt eine äußerst komplexe und herausfordernde Aufgabe dar, insbesondere vor dem Hintergrund der universellen Gerichtsbarkeit, die es der Schweiz ermöglicht, Verbrechen zu verhandeln, die außerhalb ihrer Grenzen begangen wurden. Mit dieser erweiterten Zuständigkeit ergeben sich neue Hindernisse, vor allem in Bezug auf die Sprachbarriere. Häufig sprechen Angeklagte, Opfer und Zeugen keine der offiziellen Landessprachen der Schweiz, was den unabdingbaren Einsatz von Dolmetschern und Übersetzern erforderlich macht, um eine reibungslose Kommunikation und ein faires Verfahren zu gewährleisten.

Müssen Prozesse in der Schweiz übersetzt werden?

Gemäß der Schweizer Strafprozessordnung besteht kein genereller Anspruch auf die vollständige Übersetzung aller Verfahrenshandlungen und Akten. Stattdessen ist es erforderlich, lediglich den wesentlichen Inhalt der bedeutendsten Verfahrenshandlungen zu übersetzen. Allerdings gestaltet sich die genaue Definition dessen, was als "wesentlich" gilt, in der Praxis von Gericht zu Gericht unterschiedlich.

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Die Auswirkungen unvollständiger Übersetzungen

Die Folgen unvollständiger Übersetzungen sind vielschichtig und betreffen sowohl die angeklagte Person als auch die Gerichtsöffentlichkeit. Für die Angeklagten ergeben sich Schwierigkeiten, den gesamten Prozess vollständig zu verstehen, was ihre Fähigkeit beeinträchtigen kann, angemessen auf die Vorwürfe zu reagieren und ihre Verteidigung effektiv zu führen. Gleichzeitig strebt die Öffentlichkeit, insbesondere bei internationalen Prozessen, oft nach einer umfassenden Information über den Verlauf und den Inhalt des Verfahrens, um Vertrauen in die Rechtssprechung zu gewinnen und die Transparenz des Justizsystems zu gewährleisten.

Warum großzügiger übersetzen?

Die Frage, warum eine großzügigere Übersetzung notwendig ist, wirft verschiedene Aspekte auf. Eine großzügigere Übersetzung ermöglicht eine verbesserte Verständigung und Transparenz im Gerichtssaal, indem sie sicherstellt, dass alle beteiligten Parteien den Prozess vollständig nachvollziehen können. Dies ist besonders wichtig, um Missverständnisse zu vermeiden und die Fairness des Verfahrens zu gewährleisten. Allerdings stoßen großzügigere Übersetzungsmaßnahmen auf Hindernisse wie den zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand. Eine vollständige Übersetzung könnte das Verfahren verlangsamen und die Ressourcen der bereits überlasteten Staatsanwaltschaften weiter belasten, was zu Verzögerungen und ineffizienten Abläufen führen könnte.

Die Auswirkungen eines wegweisenden Urteils
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Die Auswirkungen eines wegweisenden Urteils können nicht unterschätzt werden, insbesondere wenn es um die Fairness und Effektivität des Rechtssystems geht. Ein jüngstes Urteil des Zürcher Obergerichts, das die Anklage gegen den früheren Raiffeisenchef Pierin Vincenz aufgrund der fehlenden Übersetzung der Anklageschrift zurückwies, hat eine Welle der Besorgnis in der Justiz ausgelöst. Dieses Urteil hat die Dringlichkeit einer einheitlichen Praxis in Bezug auf das Dolmetschen im Gerichtssaal klar gemacht und verdeutlicht die Notwendigkeit klarer Richtlinien, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten einen fairen Zugang zur Justiz erhalten.

Lösungsansätze für das Übersetzungsproblem

Bei der Bewältigung der Herausforderungen des Dolmetschens im Gerichtssaal stehen verschiedene Lösungsansätze zur Verfügung. Eine Möglichkeit besteht darin, das Gesetz präziser zu formulieren und klare Richtlinien festzulegen, welche Verfahrenshandlungen und Dokumente übersetzt werden müssen, um eine konsistente Praxis in der gesamten Schweiz sicherzustellen. Eine alternative Herangehensweise könnte in einer Gesetzesänderung liegen, die vorsieht, dass in spezifischen Fällen eine umfassende Übersetzung erforderlich ist, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten den Prozess verstehen und gleichermaßen Zugang zur Justiz haben.

Fazit

Das Dolmetschen im Gerichtssaal stellt eine komplexe Herausforderung dar, die nicht nur die Verständigung zwischen den Parteien sicherstellen, sondern auch die Transparenz und Fairness des Rechtssystems gewährleisten muss. Durch eine präzisere Gesetzgebung und die Übernahme bewährter Praktiken aus anderen Ländern kann die Schweiz Lösungen finden, um diesen Herausforderungen effektiv zu begegnen und die Rechtsprechung weiterhin auf höchstem Niveau zu garantieren.