INTERVIEW MIT NADJA – EINER SPANISCH-DEUTSCH ÜBERSETZERIN UND DOLMETSCHERIN AUS POTSDAM
Nadja hat ihr Praktikum bei Front Runner in Berlin gemacht, an der Humobld Universität studiert und lebt mit ihrem spanisch-sprachigen Lebenspartner in Potsdam.
09.05.2024 | von Evarella
Nadja, du hast 2009 dein Praktikum bei Front Runner gemacht. Wie ist es danach weitergangen?
Ja das stimmt. Das Praktikum bei Front Runner hatte ich damals während meines Studiums an der HU in Berlin gemacht. Dort habe ich spanische Philologie und im ersten Jahr auch Italienisch studiert. Da ich damals aber noch gar nicht wusste, dass ich in Richtung Übersetzen/Dolmetschen gehen werde, habe ich Italienisch mit Volkswirtschaft getauscht und meinen Bachelor in spanischer Philologie und Volkswirtschaftslehre gemacht. Anschließend habe ich meinen ersten Master in Barcelona in Übersetzungswissenschaften absolviert und hatte in dieser Zeit auch Einführungskurse ins Dolmetschen. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mich danach an der Uni in Leipzig für den zweijährigen Studiengang „Konferenzdolmetschen“ beworben und dort meinen zweiten Master gemacht habe. Meinen Auslandsaufenthalt in Spanien habe ich mit einem Praktikum in Barcelona verbunden und dort im Fremdenverkehrsamt gearbeitet.
Gab es etwas, was du damals an den Spaniern komisch fandest?
Komisch fand ich eigentlich nichts, ich habe mich dort von Anfang an sehr wohl gefühlt und mich ehrlich gesagt sehr über diese superfreundliche und entschleunigte Art gefreut. Man hat es im Supermarkt an der Kasse gemerkt, dass die Produkte da nicht durchgefeuert wurden, so dass man beim Einpacken gar nicht hinterherkommt. Oder auf der Straße hatte ich das Gefühl, dass ich mehr angelächelt werde. Das entspricht auch generell mehr meiner Natur, darum habe ich das alles sehr positiv wahrgenommen. Auch die laute Art der Spanier hat mich nicht gestört oder das Hellhörige in den Wohnungen. Daran habe ich mich recht schnell gewöhnt. Aber ich glaube, das lag daran, dass ich noch sehr jung war. Mittlerweile stört es mich beim Arbeiten schon, wenn es laut ist. Damals war ich einfach sehr offen und habe alles mit großer Neugier beobachtet. Es gab zum Beispiel einen Leierkastenmann, der jeden Morgen vor meinem Fenster an seiner Leier kurbelte. Aber dadurch, dass der Tag dort später anfängt, war es für mich nicht so schlimm. Er hat immer die gleichen Lieder gedudelt, jeden Tag (lacht)! Bei Behördengängen wurde es mir dann aber teilweise doch etwas zu viel. Da dachte ich mir dann schon manchmal, dass es auch etwas straffer zugehen könnte. Man hat eben nirgends alles.
Was gefällt dir besser: Das Dolmetschen oder das Übersetzen und warum?
Das Dolmetschen! Ich mache zwar auch viele Urkunden-Übersetzungen oder größere Übersetzungen wie Handbücher, aber ich habe gerade in der Pandemie-Zeit gemerkt, dass mir die Decke auf den Kopf fällt , wenn ich zulange alleine in meinem Büro vor mich hin übersetze. Ich brauche definitiv das Interaktive, vielleicht auch diesen kleinen Adrenalin-Kick, den man definitiv hat, wenn man in der Kabine sitzt. Aber vor allem brauche ich es, unter Menschen zu sein. Ich liebe am Dolmetschen gerade dieses Spontane, Unvorhergesehene, denn das macht den Einsatz immer zu einem Abenteuer. Ich mag diesen gewissen Nervenkitzel.
Aber auch die Zusammenarbeit mit dem Kabinenpartner ist schön im Gegensatz zu diesem Auf-sich-alleine-gestellt-sein, was man in der Selbständigkeit ohnehin schon ständig hat. Die Arbeitsteilung und Unterstützung tun mir generell gut, aber ganz besonders in Momenten, in denen mir eine Vokabel nicht einfällt, ist ein Kollege extrem hilfreich.
Im Studium hatte ich früher etwas Bammel davor, selbständig zu sein, weil ich nie weiß, was ich am Ende des Monats auf dem Konto haben werde – heute kann ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen. Ich dachte, dass ich auf Unvorhergesehenes nicht gut reagieren könnte und eher jemand sei, der klare Strukturen braucht. Aber mittlerweile ist es so, dass genau das Unvorhergesehene das ist, was mich reizt und fordert. Ansonsten wird's für mich zu langweilig.
Für Dolmetscher ist es ähnlich wie für Sänger oder Schauspieler, die vor jedem Bühnenauftritt ein bisschen Lampenfieber haben. So ist das bei mir auch vor dem ersten Wort, wenn der Redner zu sprechen beginnt. Aber gerade diese Anspannung ist es auch, die mich dann wieder konzentriert sein lässt und so merke ich schnell, dass mit der Zeit auch wieder die Ruhe zurückkommt. Gerade wenn man Kabinenpartner hat, die einen gut unterstützen.
Wie waren deine ersten Dolmetsch-Einsätze? Hattest du Angst?
Ich war unheimlich neugierig und voller Vorfreude, weil ich stolz darauf war, meinen ersten bezahlten Einsatz zu haben. Aber ich hatte natürlich die Hosen voll. Allerdings nicht in Bezug auf den Kunden, sondern vielmehr in Bezug auf meinen Kabinenpartner. Das Studium ist extrem fordernd, man bekommt häufig wenig erfreuliche Kritik und muss sich deswegen ein richtig dickes Fell zulegen. Natürlich wollte ich auch in Zukunft gut vor den Kollegen dastehen, die schon viel Erfahrung haben. Aber ich hatte Glück! Meine erste Kabinenpartnerin hat mir ein richtig wohliges Gefühl vermittelt. Sie war total entspannt und hat mir lauter freundliche Worte gesagt wie "Geh mal ganz ruhig ran" und "Jeder hatte mal seinen ersten Einsatz". Das Lampenfieber war dann zwar noch da, aber ich war innerlich viel ruhiger. Ich hatte auch bis heute immer Glück mit meinen Kollegen. Und das ist auch insofern wichtig, als durch die Kollegen immer wieder neue Aufträge kommen. Wenn man sich gut mit ihnen versteht, schlagen sie einen natürlich für den nächsten Job als Kabinenpartner vor.
Ergeben sich da auch Freundschaften?
Ja durchaus. Ich habe noch immer eine sehr gute Beziehung zu meiner Mentorin aus dem Nachwuchsprogramm. Auch mit der Kollegin, die mich damals zu meinem ersten Einsatz mitgenommen hat, bin ich immer noch viel in Kontakt, ebenso wie mit den Kollegen, die ich im Nachwuchsprogramm kennengelernt habe. Wir machen auch regelmäßig Zooms, wobei wir die Kultur aus dem Nachwuchsprogramm beibehalten, uns darüber auszutauschen, wer welche Ziele hat und wie es bei jedem gerade läuft. Das tut sehr gut, weil man als Freiberufler schon sehr auf sich alleine gestellt ist.
Netzwerktst du auch?
Ich bin im VKD (Verband der Konferenzdolmetscher) und im BDÜ (Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer). Dabei bin ich mehr auf den VKD-Veranstaltungen, weil das Dolmetschen natürlich mein Hauptaugenmerk ist. Die VKD-Treffen sind ca. 3-4 Mal pro Jahr. Außerdem bin ich in Potsam noch bei einem Stammtisch der Businessfrauen Potsdam. Da sind größtenteils selbständige Frauen und es geht um den Austausch von Frauen in der Geschäftswelt. Ich habe auch vor, mir andere Veranstaltungen außerhalb meines Dunstkreises anzuschauen, um mein Netzwerk zu erweitern. Kürzlich war ich auf einer IHK-Veranstaltung im Rahmen der Brandenburgischen Frauenwochen.
Du bist Mitglied im BDÜ – wieso hast du dich dafür entschieden?
Die Mitgliedschaft im BDÜ und VKD ist eine Art Qualitätssiegel, aber ich finde es rentiert sich auch. Ich werde zu Stammtischen eingeladen, bekomme Benachrichtigungen wie zum Beispiel jetzt aktuell zum neuen Gerichtsdolmetschergesetz und habe die Möglichkeit, an den vielen Fortbildungen teilzunehmen. Ich habe auch schon an mehreren teilgenommen. Bei einer davon ging es um Rentabilität. Die Preisgestaltung ist bei uns ja immer die große Frage. Das Gute an der Mitgliedschaft in den beiden Verbänden ist auch, dass ich den Honorarspiegel der Branche kenne, sobald er aktualisiert ist. Für mich ist es wichtig zu wissen, wo der Markt gerade steht und wie ich mich orientieren kann, weil man davon im Studium so gut wie gar nichts mitbekommt. Deswegen hatte ich auch am Business Camp vom VKD teilgenommen – dabei ging es um Rentabilitätsberechnung, Selbstvermarktung, Büromanagement, Kundenakquise usw. Ich habe wirklich viel an Wissen mitgenommen, abgesehen von dem Zusammensein mit Kollegen.
Hast du Angst, dass DeepL bzw. KI generell dir irgendwann den Job wegnimmt?
Die Frage ist tatsächlich interessant, denn bei der letzten Jahresmitgliederversammlung des VKD gab es eine extra Abendveranstaltung, weil dieses Thema auch unter den Dolmetschern heiß diskutiert wird und bei vielen Besorgnis auslöst. Was sich in dieser Diskussion herausgestellt hat, war auch das, was ich darüber denke: Wenn ich übersetze und sehe, was DeepL schon alles kann, dann sind das schon recht gute Übersetzungen, aber es treten immer noch gravierende Fehler auf. Man könnte so einen Text nicht wirklich benutzen ohne ihn professionell gegenlesen zu lassen. Gerade wenn es ins fachliche geht oder bei Rückbezügen oder Zwischensätzen, funktioniert KI oft noch gar nicht.
Ich persönlich habe noch nie einen Auftrag für Post-Editing angenommen, weil ich nunmal lieber übersetze. Post-Editing habe ich bei mir zumindest komplett aus dem Angebot aussortiert.
Was das Dolmetschen betrifft: Ich kenne viele Kollegen, die an Simulationen für KI's im Dolmetschbereich teilgenommen haben. Die KI's sind natürlich noch am Anfang und entsprechend gibt es noch viel zu viele Fehler. Ich kenne auch Dometschtechnik-Anbieter die Vorstellungen von KI-generierten Verdolmetschungen schon miterlebt haben und sagen, es war schon gut, aber: Die Verdolmetschungen fanden auf Grundlage einer sehr lange und vorher ausformulierten Rede statt, mit der man die KI vorher füttern konnte.
Außerdem spielt bei KI auch die Spracherkennung immer eine große Rolle und die funktioniert aktuell zumindest noch nicht so gut. Der Dolmetsch-Anbieter sagte, er konnte das 10 bis 15 Minuten aushalten, aber diese technische Stimme ohne natürliche Intonation nervte ihn relativ schnell. Sicherlich wird das immer besser, so dass man sich definitiv damit beschäftigen muss – auch um Kunden entsprechend zu beraten. Man muss sich bewusst werden, für welche Dolmetsch-Einsätze KI problemlos genutzt werden kann und wo man besser auf einen Menschen zurückgreift. Hat man z.B. eine perfekt ausformulierte Rede, die vorher noch von einem Berufssprecher aufgezeichnet wurde, damit die Sprachaufzeichnung auch wirklich alles erkennt, dann geht das schon. Aber dann kommt es auch beim Kunden an, dass der Aufwand dafür enorm ist und sich finanziell gegenüber einem Profi-Dolmetscher aktuell überhaupt nicht lohnt.
Gerade auch spontane Sachen wie Ironie, Wortspiele, Witze, Mimik, Gestik, all das bekommt auch die beste KI wahrscheinlich in hundert Jahren nicht hin.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Datenschutz: KI's funktionieren maschinenbasiert und wenn man da einen Text durchjagt, bleiben immer Informationen hängen. Dessen muss man sich bewusst sein.
Woher kommen deine Kunden?
Meine Jobs kommen ehrlich gesagt meistens durch Kollegen. Wie ich ja schon gesagt hatte: Wenn man sich gut versteht und erfolgreich zusammen arbeitet, ist es fast wie ein Schneeballprinzip. Deswegen sind mir die Verbandsarbeit, die -treffen und das Netzwerken auch so wichtig.
Stehst du noch hinter deiner Entscheidung, Übersetzer zu werden?
Ja, total. Ich habe kürzlich mal jemanden kennengelernt, der auf dem Trip des bedingungslosen Grundeinkommens / passivem Einkommens war. So viele Menschen sind aktuell unzufrieden mit ihren Berufen und ich hatte den Eindruck, dass er von mir die gleiche Antwort hören wollte. Und da habe ich mich tatsächlich gefragt, was ich studieren würde, wenn ich jetzt nochmal von vorn anfangen würde. Und meine Antwort war: Dolmetschen.
Welche CAT-Tools nutzt du und warum hast du dich dafür entschieden?
Was würdest du Leuten empfehlen, die sich für das Übersetzen interessieren?
Fürs Dolmetsch-Studium würde ich auf jeden Fall empfehlen, immer stark zu bleiben und sich eine dicke Haut zulegen. Im Studium wird zwar versucht, einen auf den Markt vorzubereiten, also darauf, dass der Markt ziemlich hart sein kann, aber man ist auf der Uni trotzdem immer in einer Art Blase – die Arbeitswelt sieht dann nochmal ganz anders aus. Die Konkurrenz ist massiv und darum wird man im Studium sehr hart und streng behandelt. Ansonsten sollte man neugierig sein, mit den Kollegen Bündnisse eingehen und nicht vergessen, nebenbei zu leben. Sehr wichtig ist es auch, die Sprache zu praktizieren, speziell wenn man nicht im Ausland wohnt, sprich, dass man Zeitungen in seiner Arbeitssprache liest, Filme schaut, sich viel im Ausland aufhält, am besten dort wohnt oder sich wie ich Kontakt mit Muttersprachlern der Sprache auch im eigenen Land pflegt.
Nadja's Blog: https://www.glaeser-translations.de/post/mein-weg-zur-dolmetscherin-und-%C3%BCbersetzerin